#MerzMail 07/2025: München 2025

Liebe Leserin, lieber Leser,

schon einmal hat ein amerikanischer Vizepräsident auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Botschaften seines Präsidenten Donald Trump verlesen. Er hieß Mike Pence, und er bleibt in Erinnerung als der amerikanische Vizepräsident, der der versammelten europäischen Sicherheitscommunity im Februar 2017 die Leviten las und in harschem Ton abverlangte, sie müsste endlich „ihre Rechnungen bezahlen“. Gemeint waren die überfälligen Erhöhungen der Verteidigungsbudgets der NATO-Staaten, die sich drei Jahre zuvor in Wales auf das 2-Prozent-Ziel verständigt hatten. In Deutschland lagen die Verteidigungsausgaben damals knapp über 1,1 Prozent. Der Einmarsch russischer Streitkräfte in die Ost-Ukraine – ohne Hoheitsabzeichen und noch unterhalb der Schwelle offener Kampfhandlungen – sowie die gewaltsame Annexion der Krim durch Russland waren zu dem Zeitpunkt schon fast drei Jahre alt!

An diesem Wochenende, drei Jahre nach dem endgültigen Ausbruch des Krieges in der Ukraine, spricht wieder ein amerikanischer Vizepräsident auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Diesmal heißt er James David Vance, und er hat ebenfalls eine Botschaft seines Präsidenten im Gepäck. Nicht etwa die Verteidigungsausgaben sind das Thema. Vance erteilt der internationalen Konferenz eine Lehrstunde in Sachen Demokratie und Meinungsfreiheit, jedenfalls, was er darunter versteht. Und er scheut auch nicht davor zurück, die Annullierung der Präsidentschaftswahlen in Rumänien (durch den Verfassungsgerichtshof!) ebenso zu kritisieren wie den Umgang mit der AfD in Deutschland. Jede Regulierung der Aktivitäten der großen amerikanischen Tech-Unternehmen in Europa, vor allem der Social-Media-Plattformen, verstößt aus seiner Sicht gegen die Meinungsfreiheit, Hassreden würden unzulässigerweise als „Gedankenverbrechen“ bestraft. Während Pence sich noch weitgehend auf die Sicherheitspolitik beschränkte, lieferte Vance einen Rundumschlag gegen die aus seiner Sicht große Bedrohung unserer Freiheit von innen, die eben viel größer sei als die Bedrohungen durch Russland und China.

Die Differenzen zwischen den USA und Europa bekommen damit eine ganz neue Qualität. Jetzt geht es nicht mehr „nur“ um Verteidigung; jetzt geht es um unser Grundverständnis von Demokratie und offener Gesellschaft, jetzt geht es um die Unabhängigkeit der Justiz, um die Gewaltenteilung und um unseren bisherigen Grundkonsens über die tatsächlichen Bedrohungen unserer Freiheit.

Über den Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine im Jahr 2014 haben wir uns gründlich geirrt. Am 24. Februar 2022 sind wir aus unseren Träumen aufgewacht und mussten lernen zu verstehen, dass unsere Welt nicht mehr die ist, die sie nach 1990 vermeintlich geworden war. Mit dem zweiten Amtsantritt von Donald Trump und den ersten Auftritten seiner Kabinettsmitglieder auf der internationalen Bühne wird klar, dass die „Zeitenwende“ des Jahres 2022 drei Jahre später zum Bruch der transatlantischen Beziehungen werden kann. Noch besteht – wie auch während seiner ersten Amtszeit – die Hoffnung, dass es ganz so schlimm nicht werden könnte. Aber hier gilt der Grundsatz: Lets hope for the best, but prepare for the worst. Europa hat nicht mehr viel Zeit, jetzt endlich auf den eigenen Füßen zu stehen und das zu verteidigen, was wirklich bedroht ist, nämlich die politische Ordnung des europäischen Kontinents, wie wir sie – mit den Amerikanern – über mehr als 75 Jahre aufgebaut haben.

Beste Grüße

Friedrich Merz

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