Liebe Leserin, lieber Leser,
heute jährt sich zum 80. Mal der Tag, an dem eine Gruppe um den Wehrmachtsoffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg versuchte, Hitler mit einer Bombe zu beseitigen. Das Attentat scheiterte, Hitler wurde nur leicht verletzt, die Verschwörer wurden zum Teil noch am selben Tag erschossen, mehr als 200 Personen wurden in den Tagen und Wochen danach verhaftet, hingerichtet oder in den Tod getrieben. Das Morden in den Konzentrationslagern der Nazis ging weiter, der Krieg dauerte mit weiteren Millionen Opfern noch fast ein weiteres Jahr.
Heute würdigen wir den Mut und den letzten Versuch, den Terror der NS-Diktatur vorzeitig durch ein Attentat auf den „Führer“ zu beenden. Die Aufarbeitung der Umstände des Attentats, die Forschung zu den Motiven der Teilnehmer und die Zusammensetzung des Unterstützerkreises hat erst spät nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland begonnen. Heute wissen wir sehr weitgehend, wann die ersten Überlegungen zu einem solchen Attentat begannen, wer daran beteiligt war und welche Motive dem Attentat zugrunde lagen. Wir wissen auch sehr viel über das Schicksal der Familien der Attentäter, denn viele von ihnen wurden in „Sippenhaft“ genommen, manche Anerkennung wurde den Attentätern und ihren Familien lange versagt.
Die wichtigste Frage, die wir uns nicht erst heute stellen dürfen, aber lautet: Wie ständen wir heute da, wenn die Gruppe um Stauffenberg das Attentat nicht verübt hätte, wenn es eine solche Gruppe gar nicht gegeben hätte? Der Name Stauffenberg steht für alle Zeit für den Teil der Wehrmacht und der Bevölkerung, der sich nicht der Ideologie der Nationalsozialisten verschrieben hatte, der aber auch nicht allein in die innere Emigration gegangen war, sondern den Mut hatte, gegen den Rassenwahn und den Zivilisationsbruch der Nazis unter großer Gefahr für das eigene Leben aktiv etwas zu tun. Die Herkunft der Mitglieder des Widerstands war sehr unterschiedlich, die Vorstellungen über die Zeit nach einem erfolgreichen Attentat mindestens ebenso verschieden. Aber dass sie es wenigstens versucht haben, hat die Ehre unseres Landes bewahrt. Nicht ohne Grund wird der 20. Juli daher seit vielen Jahren als Tag des Gedenkens und der weltgeschichtlichen Erinnerung begangen. In den dunkelsten Stunden unserer Geschichte gab es am 20. Juli 1944 ein kleines flackerndes Licht, das allzu schnell wieder erlosch. Aber dass es dieses Licht überhaupt gab, darf uns auch heute noch mit großer Dankbarkeit erfüllen.
Mit besten Grüßen
Ihr Friedrich Merz