Liebe Leserin, lieber Leser,
das Jahr 2024 neigt sich dem Ende zu, und so langsam werden die Jahresbilanzen geschrieben, privat, geschäftlich und auch politisch. 2024 war kein besonders gutes Jahr, nicht für die Beschäftigten, aber auch nicht für viele Unternehmen. Nach der bevorstehenden Auflösung des Bundestages wird der Wahlkampf 2025 unmittelbar nach dem Jahreswechsel schnell Fahrt aufnehmen, und eine Frage dürfte die Auseinandersetzung dieses Bundestagswahlkampfes besonders prägen: Wie kommt Deutschland wieder heraus aus seiner strukturellen Wachstumskrise?
Die gute Nachricht ist: Das kann gelingen, wenn die richtigen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen getroffen werden. „Richtig“ sind aber nur solche Entscheidungen, die das Arbeitskräftepotential unseres Landes wieder besser ausschöpfen, und wir alle zusammen eine höhere volkswirtschaftliche Leistung erbringen.
Ohne Zweifel arbeiten in Deutschland viele Menschen viel und fleißig, manche machen die Arbeit für andere gleich mit. Die Nachfrage nach mehr Arbeit ist aber so hoch, dass sie zur Zeit vom Arbeitsmarkt selbst nicht vollständig bedient werden kann. Mit anderen Worten: Anders als in der ersten zweijährigen Rezession unseres Landes in den Jahren 2002 und 2003 gibt es heute genug Arbeit, aber nicht genug Beschäftigte und Bewerber im Arbeitsmarkt, die die entsprechenden Stellen auch besetzen. Deshalb diskutieren wir über Erwerbsmigration, also über Arbeitskräfte aus dem Ausland. Aber so viele, wie wir brauchen, können wir aus dem Ausland gar nicht gewinnen. Also müssen wir darauf schauen, wie wir das vorhandene Arbeitskräftepotential besser ausschöpfen. Und da ist einiges (mehr) möglich!
Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat dazu vor einigen Tagen eine Studie vorgelegt. In Deutschland leben rund 6,4 Millionen Menschen, die grundsätzlich erwerbsfähig sind, die aber nur teilweise oder gar nicht erwerbstätig sind. Darunter sind viele Empfänger des sog. „Bürgergeldes“, viele Nebentätige und auch viele ältere Menschen, die freiwillig noch arbeiten könnten. Hinzu kommen sechs Millionen teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gerne mehr Arbeitsstunden leisten möchten. Aus diesem Reservoir für unseren Arbeitsmarkt könnten mit den richtigen Rahmenbedingungen mindestens die Hälfte, vielleicht sogar zwei Drittel der Betroffenen für den Arbeitsmarkt gewonnen werden, sei es mit dem Prinzip „Fördern und Fordern“, sei es mit attraktiven steuerlichen Rahmenbedingungen für Ältere, sei es mit einer besseren Kinderbetreuung, sei es mit den besseren Voraussetzungen für Vollzeit statt Teilzeit. Mit einer zusätzlichen Senkung der viel zu hohen Fehlquoten in den Unternehmen könnte insgesamt eine zusätzliche Wirtschaftsleistung für unser Land erreicht werden, die unsere Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessert. Und genau das muss das Ziel sein: Wir müssen im nächsten Jahr heraus aus der strukturellen Wachstumsschwäche unserer Volkswirtschaft. Das wird uns nur gelingen, wenn wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die der Arbeitsmarkt hergibt. Und unser Arbeitsmarkt gibt deutlich mehr her, als wir gegenwärtig mobilisieren. In Deutschland gibt es so viel Leistungsbereitschaft, aber in den letzten Jahren ist immer weniger Netto vom Brutto übriggeblieben. Auch das muss sich ändern.
Jedenfalls wird die politische Botschaft meiner Partei und die der Union aus CDU und CSU insgesamt sein: Wir erhalten unseren Wohlstand und unseren Sozialstaat nur, wenn wir gemeinsam mehr erwirtschaften; wenn möglichst alle mit anpacken; wenn wir die Ärmel aufkrempeln und sich Fleiß und Leistung wieder lohnen. Das trauen uns viele Beobachter aus dem Ausland, die derzeit mit einiger Verwunderung auf Deutschland schauen, immer noch zu. Wir sollten es uns auch selbst zutrauen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein frohes Weihnachtsfest und einige ruhige Tage über den Jahreswechsel. Kommen Sie gesund und zuversichtlich in das Jahr 2025.
Ihr Friedrich Merz